Von der Nutzungsgemeinde zur Bürgergemeinde
Die Eroberung des Aargau 1415 durch die Eidgenossen bildet einen Markstein in der Geschichte unseres Kantons, der in drei Teile aufgespaltet wurde: den Berner Aargau, die Gemeinen Herrschaften und das Fricktal. Im Berner Aargau hat Bern das Verdienst, wesentlich zur Stärkung der einzelnen Gemeinden beigetragen zu haben. Die Einführung der landeshoheitlichen Gewalt gab den Gemeinden die vollen Eigentumsrechte am Gemeindeland wieder zurück. Auch erhielten die Gemeinden neue Aufgaben, so zum Beispiel das Feuerlöschwesen, die Wasserversorgung, das Polizeiwesen und anderes. Die bernischen Kleinstädte besassen darüber hinaus weitere Privilegien. Von grösster Bedeutung war der Erlass der Bettelordnung im 17. Jahrhundert, das heisst, die Armenpflege, die bisher in den Händen der Kirche lag, wurde den Gemeinden übertragen. Grosse finanzielle Verpflichtungen kamen auf die Gemeinden zu. Erträge des Gemeindelandes mussten für die neuen Bedürfnisse verwendet werden. Das Angreifen der Hauptgüter war verboten, durch Holzordnungen wurde für die Erhaltung der Wälder und zweckmässige Nutzung gesorgt. Mit der Einführung der heimatlichen Gemeindearmenpflege entstand das erbliche Bürgerrecht, welches die Umwandlung der alten Nutzungsgemeinde in die Bürgergemeinde zur Folge hatte. Nutzungskorporationen ohne öffentlichen Zweck gibt es im Aargau selten.
Die Ortsbürgergemeinde als Universalgemeinde: 1803
Mit der Errichtung der Helvetischen Republik 1798 bis 1803 gab es auch eine neue Ordnung. Neben der Munizipalgemeinde, der eigentlichen politischen Gemeinde, bleib die Bürgergemeinde bestehen. Deren einzige Aufgabe war die Armenpflege. Die bürgerlichen Nutzungsgüter blieben im vollen Umfang bestehen. Jeder Bürger konnte sich frei niederlassen, ohne ein Eintrittsgeld zu bezahlen. So gab es denn auch Gegensätze zwischen den Bürgern und den sogenannten Hintersässen. Dieser in der Helvetik geschaffene Dualismus der beiden Gemeinden ist bis heute erhalten geblieben.
Im Jahre 1803, bei der Gründung des Kantons Aargau, wurde die Organisation der einzelnen Gemeinden dem Kanton überlassen. Die Munizipalgemeinden der Helvetik (1798 – 1803, nach französischem Vorbild) wurde beseitigt. An ihre Stelle trat als Universalgemeinde die Ortsbürgergemeinde. Das Gemeindevermögen wurde zusammengelegt, nur das Armengut wurde ausgeschieden, um die Finanzierung der Armenunterstützungen zu sichern. Der aus mindestens 11 Mitgliedern bestehende Gemeinderat besorgte die Verwaltungsgeschäfte. Dieser Rat hatte zu zwei Dritteln aus Ortsbürgern zu bestehen.
Trennung von Einwohner- und Ortsbürgergemeinde: 1841
In der Zeit ab 1831 entwickelte sich aus der Ortsbürgergemeinde heraus die Einwohnergemeinde, welcher immer mehr Aufgaben übertragen wurden. Schliesslich verblieb der Ortsbürgergemeinde nur noch die Armenfürsorge. Die Grundlage für die Trennung der beiden Gemeinden bildete das Gemeindeorganisationsgesetz von 1841. Bis auf den heutigen Tag behielten beide Gemeinden die gleiche Exekutive. Gerade diese Tatsache birgt politischen Zündstoff. Der Gemeinderat muss für das Wohl von zwei Gemeindewesen besorgt sein. Das ist bei Landverkäufen der einen an die andere Gemeinde recht schwierig. Bürgerräte, wie sie aus anderen Kantonen bekannt sind, können die Interessen ihrer Ortsbürgergemeinde besser wahren.
Übertragung der Armenausgaben auf die Einwohnergemeinde: 1936
Den stärksten Eingriff in die Existenz der Bürgergemeinden in unserem Kanton bildete das neue Armengesetz von 1936. Die Armenausgaben stiegen von 1,2 Mio. Franken im Jahre 1910 auf 4 Mio. Franken im Jahre 1935. Verschiedene Ortsbürgergemeinden wurden durch diese Ausgaben in ernste Finanzkrisen getrieben und konnten ihre Unterstützungspflicht nicht mehr erfüllen. Die neue Gesetzesvorlage übertrug die Unterstützungspflicht den Einwohnergemeinden. Als Unterstützungsgemeinde hörte nun die Ortsbürgergemeinde auf zu existieren. Die Ortsbürgergemeinden hatten 1936 die bestehenden Armengüter, die Armenhäuser sowie die Stiftungen, die diesem Zweck dienten, an die Einwohnergemeinden abzutreten.
Trennung in Ortsbürger- und Einwohnerbürger: 1940
Sei Inkrafttreten des revidierten Bürgerrechtsgesetzes von 1940 kennen wir im Aargau Ortsbürger- und Einwohnerbürger. Die Aufgabe der Bürgergemeinden wurde wie folgt umschrieben: Verwaltung des Ortsbürgerguts und allfälliger vorhandener Fonds, Verteilung des Bürgernutzens und Aufnahme neuer Bürger.
Zweck Ortsbürgergemeinde heute
- Die Ortsbürgergemeinden haben in erster Linie die Aufgabe der Erhaltung und der guten Verwaltung ihres Vermögens. Sofern der Ertrag des Vermögens ausreicht, obliegen Ihnen weitere Aufgaben:
- Förderung des kulturellen Lebens sowie Unterstützung kultureller und sozialer Werke
- Mithilfe bei der Erfüllung von Aufgaben der Einwohnergemeinden
- Erfüllung von Aufgaben, die sie sich selber stellen - Eine Ortsbürgergemeinde, welche dauernd auf Beiträge angewiesen ist, wird fremdbestimmt und ist nicht überlebensfähig.
- Optimale Erträge aus dem Vermögen sind zur Erhaltung der Ortsbürgergemeinde und zum Erreichen der nachfolgenden Ziele unerlässlich.
- Verständnis und Rückhalt in der Allgemeinheit werden durch solche Leistungen gefördert. Die Ortsbürgergemeinde darf nicht zum Selbstzweck entarten; auch bei beschränkten Mitteln sind Aktivitäten möglich.
- Die Verankerung der Ortsbürgergemeinde wird dadurch gefördert. Grössere Meinungsvielfalt, Anstösse von aussen bereichern die Ortsbürgergemeinde.
- Der Wald bietet den Ortsbürgergemeinden nicht nur die einfachste Möglichkeit, mit der Öffentlichkeit in Beziehung zu treten, die Waldleistungen werden auch von den breitesten Kreisen direkt und indirekt beansprucht.
- Information über die Leistungen auf lokaler Ebene mittels diversen Aktivitäten. Bsp. öffentliche Waldführungen, heimatkundliche Führungen und Veranstaltungen, Organisation von speziellen Anlässen mit Bezug zu Geschichte, Landschaft, Brauchtum usw. - Image-Pflege - Verankerung der Ortsbürgergemeinde in der Gemeinde
- Die Ortsbürgergemeinden sind im Kanton Aargau die wichtigsten und grössten Waldbesitzer. Zur Bewirtschaftung ihrer Waldungen unterhalten sie vorwiegend eigene Forstbetriebe.
Warum sind Ortsbürgergemeinden notwendig
Kultureller Hintergrund, Ortsbürger sind verwurzelt und an der Dorfentwicklung interessiert.
Diese Frage kann nicht ohne weiteres beantwortet werden.
- EWG: soll kein Kapital bilden; wenn Geld vorhanden ist, soll der Steuerfuss gesenkt werden
Ziele der Einwohnergemeinde sind klar: Bildung, Wasser, Abwasser, Verkehr, Entsorgung, Soziale Wohlfahrt, Kultur, Verwaltung, öffentliche Sicherheit, Gesundheit, Umwelt, Raumordnung, Volkswirtschaft, Finanzen, Steuern
- OBG: kann und soll Kapital bilden; aus den Erträgnissen die Einwohnergemeinde unterstützen, sie erheben keine Steuern!
– Wahl der Kommissionen
– Liegenschaftshandel zwischen OGB und EWG
– Gemeindeammann nicht stimmberechtigt, gibt aber Stichentscheid
– Festlegung Holzpreis für Holzschnitzel
– Aushöhlung des Ortsbürgervermögens
– Finanzierung von Projekten (Dritt-Welt-Land)
– Verfügungen des Gemeinderates im Namen der Einwohnergemeinde an die Ortsbürgergemeinde (z.B. Nutzungseinschränkungen Quellschutzzonen im Wald)
Verband Aargauischer Ortsbürgergemeinden
- Ist ein Verein mit rund 149 Mitgliedsgemeinden. Der Zweck ist in den Statuten wie folgt umschrieben:
- "Zweck des Verbandes ist die Erhaltung und Förderung der Ortsbürgergemeinden als autonome, öffentlichrechtliche Körperschaft."
>> Verweis auf § 4 der Statuten - Weitere Anlässe, die Vertreter des Verbandes Aargauer Ortsbürgergemeinde besuchen, sind die Kantonale Delegiertenversammlung und die Schweizerische Delegiertenversammlung, die ebenfalls jährlich stattfinden.
- Der Verband wehrt sich auch gegen alle Versuche, die Ortsbürgergemeinden abzuschaffen
Schlussbemerkungen
Ortsbürger sein ist nicht ein Privileg, welches erlaubt, hochnässig oder arrogant zu sein. Die Ortsbürgergemeinde hat die Aufgabe, das Leben in der Gemeinde kulturell und sozial zu unterstützen. Dies soll sie tun, und auch darüber berichten. Die Öffentlichkeit soll wissen, dass die Ortsbürgergemeinde z.B. den Seniorenausflug finanziert. Die Ortsbürgergemeinde kann auch ein Grundstück für die Einwohnergemeinde kaufen.
Fusionen zwischen Einwohnergemeinden nicht behindern, sondern als neue Chance sehen; auch Einbürgerungsaktionen durchführen.
"Komische" Projekte sind zu unterlassen (Stiftung), da sie zur Auflösung der Ortsbürgergemeinde führen.